TeleVision 21 -XVI. Fernsehworkshop Entwicklungspolitik

"Eine-Welt-Filmpreis NRW" und Filmempfehlungen für die Bildungsarbeit

Die Jury des XVI. Fernsehworkshop Entwicklungspolitik hatte die Aufgabe Filme auszuzeichnen, die sich in besonderer Weise dem interkulturellen Lernen widmen und die Auseinandersetzung mit Fragen der Entwicklungspolitik und Entwicklungszusammenarbeit in der Einen Welt fördern. Die ausgezeichneten Produktionen sollen dazu beitragen, Sensibilität für die Probleme, Interessen und Hoffnungen im Süden zu wecken, und einen Perspektivwechsel fördern, der es erlaubt, den Blickwinkel andere einzunehmen und den eigenen Standpunkt selbstkritisch zu reflektieren. Neben den inhaltlichen Qualitäten gilt es auch, die formale cineastische und künstlerische Umsetzung in Hinblick auf Kameraarbeit, inszenatorische Leistungen, Drehbuch, filmische Mittel, Recherche bei der Bewertung mit zu berücksichtigen.

Zum ersten Mal hatte die Jury des Fernsehworkshop die Möglichkeit, Geldpreise zu vergeben. Der „Eine-Welt-Filmpreis NRW“ wurde vom Ministerium für Umwelt und Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen gestiftet und in der Abschlussveranstaltung durch Ministerin Frau Bärbel Höhn verliehen.

Neben der Vergabe der Preise nutzte die Jury die Möglichkeit, fünf weitere Empfehlungen für Filme auszusprechen, die neue Ansätze verfolgen und in besonderem Maße für die Bildungsarbeit zu empfehlen sind.

 

Die Mitglieder der Jury

Christine Jantscher, Baobab Wien
Günther Kinstler, Ökomedia Institut Freiburg
Ralf Knobloch, Medienpädagogisches Zentrum Hannover
Roberto Sanchez, SWR Stuttgart
Antje Starost, Filmemacherin Berlin

 

Die Preisträger

1. Preis

Die Zivilisationsbringer
Ein Film von Uli Stelzner und Thomas Walther, Deutschland 2000, 89 min.

In Guatemala gibt es eine kleine aber einflussreiche deutsche Gemeinde, die seit 150 Jahren die Geschicke des Landes mitbestimmt. Der Film von Uli Stelzner und Thomas Walther geht diesem, in Deutschland weitgehend unbekannten Kapitel deutscher kolonialer Geschichte nach. Dabei werden politische und ideologische Kontinuitäten von den deutschen Großgrundbesitzern des 19. Jahrhunderts bis zu manchen heutigen Vertretern deutscher Konzerne vor Ort dargestellt. Der intensiv recherchierte Film führt so zu einem neuen Verständnis des Kolonialismus und verdeutlicht die zerstörerischen Auswirkungen solchen fortwirkenden Herrenmenschentums. Doch nicht nur für die Debatte hier eröffnet dieser formal sehr konsequent gestaltete Film neue Einsichten und Anregungen, auch in Guatemala selbst war er Auslöser für die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte.

 2. Preis

Vaterdiebe
Ein Film von Esen Isik, Schweiz 1998, 24 min.

Der fünfjährige Meriç, der mit seiner Familie in einem Vorort von Istanbul lebt, wird Zeuge, wie sein Vater von Zivilpolizisten entführt wird. Der Kurzspielfilm von Esen Isik zeigt eindrücklich die Auswirkungen des schockierenden Erlebnisses auf den kleinen Jungen, der mit dem Verlust des Vaters nicht fertig wird und mit einem Trauma weiterleben muss. Am Beispiel des Jungen werden die Folgen der polizei-staatlichen Praxis des „Verschwindenlassens“ für die Familien deutlich und als besondere Form der Folter an den Angehörigen entlarvt. Aufgezeigt werden auch die großen sozialen Probleme für die Familien der Opfer. Der Film zeichnet sich durch eine außergewöhnliche Regie und Schauspielführung aus. Besonders der Darsteller des Meriç überzeugt durch besondere Leistung und ermöglicht die Identifikation der Zuschauer. Für Zuschauer bei uns werden darüber Fluchtursachen und Hintergründen von hier lebenden Flüchtlingen verdeutlicht. Der Film ist somit in besonderem Maße für die Bildungsarbeit mit älteren Kindern und Jugendlichen geeignet.

 3. Preis

Der dritte Preis wird ex aequo an die Filme Bolokoli von Rita Erben und Ich habe getötet von Alice Schmid vergeben. Beide Filme befassen sich mit Menschenrechtsverletzungen und dem Umbruch von Sozialstrukturen und gehen ebenso sensibel wie informativ auf die verheerenden Auswirkungen ein, die Kriege resp. Beschneidung auf Kinder, beziehungsweise Mädchen haben.

Bolokoli
Ein Film von Rita Erben, Deutschland 1999

Der Film von Rita Erben befasst sich mit der Tradition der Beschneidung am Beispiel der Bambara in Mali, in deren Sprache sie Bolokoli genannt wird. Einfühlsam und fern jeden Voyeurismus wird der Umgang der Frauen in einem Dorf mit der Tradition der Beschneidung dargestellt. Ein wichtiger Teil des Films befasst sich mit dem zunehmenden Widerstand der malischen Frauen selbst gegen diese unselige Tradition. Er eröffnet so einen wichtigen Blick auf die Auseinandersetzung mit der Thematik, wie sie in Mali geführt und dezidiert als Menschenrechtsverletzung benannt wird, und respektiert dabei die Würde der betroffenen Mädchen und Frauen.

Ich habe getötet
Film von Alice Schmid, Schweiz 1999, 26 min.

Weltweit stehen etwa 300.000 Kinder unter Waffen. In ihrem Film lässt Alice Schmid ehemalige Kindersoldaten aus Liberia zu Wort kommen. Die mittlerweile Anfang 20jährigen berichten über ihre Erinnerungen, ihre Schmerzen und ihre Hoffnungslosigkeit. In einfühlsamen Gesprächen geht der auch unter ästhetischen Gesichtspunkten eindrucksvolle Film auf die persönlichen Geschichten der jungen Menschen ein, die schwere psychische und oft körperliche Schäden davongetragen haben. Über die Radiostation „Talking Drum“, die täglich Radiosendungen für Kriegsveteranen ausstrahlt, wird darüber hinaus der Versuch dargestellt, ein tabuisiertes Thema in die Gesellschaft zu tragen.

 

Weitere Empfehlungen des XVI. Fernsehworkshop Entwicklungspolitik

Die kleine Verkäuferin der Sonne
Ein Film von Djibril Diop Mambéty, Senegal, Schweiz, Frankreich 1999, 45 min.

Der letzte Film des senegalesischen Filmemachers Djibril Diop Mambéty wurde von ihm selbst als eine „Ode an das Leben der Straßenkinder“ beschrieben. Der Kurzspielfilm, der im westafrikanischen Senegal spielt, greift in Rhythmus und Bildkomposition afrikanisches Leben und Alltag auf. Der Mut des behinderten Mädchens Sili, die sich als Zeitungsverkäuferin durchschlagen will, und die Hilfe, die sie durch ihren neuen Freund erfährt, wird als Märchen geschildert, als Parabel auf Gut und Böse, auf Gerechtigkeit und Solidarität. Der Film, der die Freundschaft in den Mittelpunkt stellt, ist auch für Kinder ab der Grundschule geeignet.

Das schmutzige Geschäft mit dem weißen Papier
Ein Film von Inge Altemeier und Reinhard Hornung, Deutschland 1999, 29 min.

Günstiges Papier aus Indonesien überschwemmt den deutschen Markt, weil die billige, aber umwelt-belastende Produktion dorthin verlagert wurde. Der Film von Inge Altemeier und Reinhard Hornung ist ein gelungenes Beispiel für investigativen Journalismus, der mutig und engagiert Aufklärungsarbeit darüber leistet, wie ökologisches Denken hier unmittelbar mit der Umweltverschmutzung in Ländern der sogenannten Dritten Welt - zum Beispiel in Indonesien – in Verbindung steht. Dass die Papierfabriken, die in Sumatra zu großen Umweltschäden und der gesundheitlichen Gefährdung der Bevölkerung führen, mit Mitteln der deutschen Wirtschaftshilfe entstanden sind, muss zu einer Reflexion über die Interdependenz zwischen den Ländern im Süden und westlichem Konsumverhalten führen.

Profit, nichts als Profit
Ein Film von Raoul Peck, Frankreich 2001, 57 min.

Der Filmemacher Raoul Peck hat sich in seinem neuesten Film das Ziel gesetzt, den scheinbar allgemeingültigen Grundsatz, dass Geld die Welt antreibt, zu untersuchen. Indem er die Hochburgen des Kapitals dem Leben in einem auf Subsistenz zurückgeworfenen haitianischen Dorf gegenüberstellt, entlarvt er die totalitären Züge neoliberalen Denkens ebenso, wie die zerstörerischen Auswirkungen der Verherrlichung des Geldes auf den größten Teil der Menschheit. In dem dokumentarisch geprägten Essay ist es ihm gelungen, ein brisantes, aber sehr abstraktes Thema auch in der Bildsprache interessant umzusetzen. Durch die gewählte Form – nämlich die des Pamphlets - fordert der Film eine längst fällige Diskussion ein.

Nuba Conversation
Ein Film von Arthur Howes, Großbritannien 1999, 55 min.

Als Arthur Howes vor zehn Jahren mit Menschen aus einem Dorf in den Nubabergen im Sudan den Film „Kafi’s Geschichte“ drehte, versprach er, zurückzukehren, um ihnen den Film zu zeigen. Wegen des Bürgerkrieges war ihm das erst Jahre später möglich. Seine Freunde von damals sind mittlerweile Flüchtlinge geworden. Etliche traf er in Slums um die Hauptstadt Khartoum, andere in Flüchtlingslagern in Kenia. Arthur Howes ist ein engagierter Dokumentarfilm über den verschwiegenen Bürgerkrieg im Sudan gelungen, der die Dimensionen der Auslöschung einer ganzen Kultur - die der Nuba – eindrücklich aufzeigt. Hervorzuheben sind die ethische Verpflichtung des Autors und sein Bewusstsein der Verantwortung gegenüber den Menschen, die er vor zehn Jahren im Film porträtierte.

Made in India
Ein Film von Patricia Plattner, Schweiz 1999, 55 min.

Im Staate Gujarat in Indien haben Frauen ein neuartiges Modell von Gewerkschaft entwickelt, das sich hauptsächlich aus Frauen, die im sogenannten „informellen“ Sektor arbeiten, zusammensetzt, und Frauen unterschiedlicher Kasten und Religionen einbezieht. Der Film ist ein eindrucksvolles Dokument einer Basisbewegung, die politische, ökonomische und soziale Dimensionen der Selbstorganisation umfasst. Der Erfindungsgeist und Einfallsreichtum der Organisation, sowie die Arbeitsweise von SEWA werden durch die portraitierten Frauen im Film lebendig, die aktiv die Lösung ihrer eigenen Probleme in die Hand nehmen.